Zum Inhalt

Karlstorbahnhof e.V.

Gemeinnütziges Kulturzentrum in Heidelberg

Bild: Geschichte UND Geschichten – Teil 2 von 3: Ein Hauptquartier für die Amerikaner

Geschichte UND Geschichten – Teil 2 von 3: Ein Hauptquartier für die Amerikaner

Eine historische Aufarbeitung der Vorgeschichte des neuen Karlstorbahnhofs

11. Januar 2022

Recherche & Text: Julian Kramer

Heidelberg werden wir schonen, in Heidelberg wollen wir wohnen.

Unbekannt

Es gibt in der Stadt viele Geschichten über diese ominösen Flugblätter, die die Amerikaner irgendwann vor Kriegsende, also zwischen 1944 und 1945, über der Stadt abgeworfen haben sollen. Während Zeitzeugen lebhaft davon berichten, glauben Historiker wie Thomas Apfel vom Denkmalamt der Stadt, den ich im Juni 2021/diesen Jahres interviewte, oder Hans-Martin Mumm vom Heidelberger Geschichtsverein eher nicht an diese Geschichten; denn sollten amerikanische Bomber tatsächlich Flugblätter abgeworfen haben, müssten sich ja irgendwo noch welche finden. Berichtet wird der oben angegebene Wortlaut, aber auch die Formulierung variiert je nach befragter Person. Trotz allem hält sich die Idee, dass es diese Informationszettel gegeben haben soll sehr hartnäckig in der Stadt.

Tatsächlich ist es gar nicht unbedingt notwendig zu wissen, ob es diese Zettel gab. Warum es jedoch interessant ist, dass es diese Geschichte in Heidelberg gibt und was das mit dem neuen Karlstorbahnhof und seinem neuen Zuhause zu tun hat, darum geht es in diesem zweiten Teil meiner geschichtlichen Blog-Trilogie.

Wenn man durch die Gassen der Altstadt Heidelbergs geht, sieht man weitestgehend noch die Barockstadt, die nach den „Pfälzischen Erbfolgekriegen Ende des 17. Jahrhundert wieder auf ihrem mittelalterlichen Grundriss aufgebaut wurde.“ Heidelberg wurde im Zweiten Weltkrieg weitgehend verschont und anders als viele andere Städte in Deutschland kaum zerstört. Dies mag darauf zurückzuführen sein, dass es hier wenig Industrie gab, anders als in Mannheim oder Ludwigshafen, und die Stadt somit aus Sicht der alliierten Truppen in der deutschen Kriegsmaschinerie eine untergeordnete Rolle spielte. Zudem gab es gegen Ende des Krieges sehr viele Militärlazarette; ein weiterer Grund keine Bomben über der Stadt abzuwerfen.

Gleichzeitig könnten diese Flugblätter eine Art Erklärungsansatz der Heidelberger Bevölkerung gewesen sein, um sich einerseits die Verschonung vor massiven (stadtmorphologischen) Schäden zu erklären und andererseits einen romantisierten Grund für die Besatzung der Amerikaner ab März 1945 zu finden. „Die Amerikaner“ hätten Heidelberg bewusst nicht zerstört, um sich hier niederzulassen. Wenn man an die zahllosen amerikanischen Touristen und Soldaten, die über die Jahre nach Heidelberg gekommen sind, denkt, die die Stadt als typische deutsche „Märchen“stadt sehen, dann zeigt sich wie wichtig es war, dass Heidelberg verschont blieb.

Wie kam es also zu dieser Bedeutung des amerikanischen Hauptquartiers in Heidelberg und zu der Errichtung der „kleinen Amerikas“ auf deutschem Boden?

Nachdem amerikanische Truppen über die Pfalz und Mannheim vor den Toren Heidelbergs in Handschuhsheim standen, kam es zu Verhandlungen über eine friedliche Übernahme seitens der Stadt und des amerikanischen Generals William A. Beiderlinden. Gleichzeitig sprengten Soldaten der Wehrmacht noch Teile der Alten Brücke, zusammen mit der heutigen Theodor-Heuss Brücke (damals Friedrichsbrücke), als letzte Neckarquerungen, um den Vorstoß der Amerikaner noch zu verhindern. Dies scheiterte jedoch und die Amerikaner übernahmen am 30. März 1945 die Stadt Heidelberg.

Es wurde eine Militärregierung im Rathaus aufgebaut und die Kaserne in der Römerstraße übernommen. Nach und nach entwickelte sich die Großdeutschlandkaserne, die ab 1948 Campbell Barracks hieß, benannt nach dem amerikanischen Hauptfeldwebel (staff sergeant) Charles L. Campbell, der bei Kampfhandlungen bei Mannheim fiel, zu einem, in der deutsch Wahrnehmung zu dem, Hauptquartier der Amerikaner in Deutschland.

Die Campbell Barracks waren nach dem Krieg von zahlreichen Umstrukturierungen betroffen, direkt nach 1945 jedoch nutze die sogenannte 6th Army Group die Großdeutschlandkaserne als Hauptquartier. Militärpferde gab es zu diesem Zeitpunkt schon relativ sicher nicht mehr. Da Heidelberg geographisch für weitere Missionen im ausgehenden Krieg, wie die Rückführung von Gefangen und logistische Versorgung der kämpfenden Truppen, eine strategisch wichtige Rolle am Neckar mit Autobahnzugang spielte, ließen sich die amerikanischen Truppen hier nieder und benötigten auch keine Pferde mehr. Bereits 1948 wurde die Campbell Kaserne umfunktioniert und bekam die Rolle des EUCOM, des Hauptquartiers des europäischen Kommandos der U.S. Armee. Der Koreakrieg führte zu massiven Truppenverlegungen nach Europa, weshalb in diese Zeit, die frühen 1950er Jahre, auch der Bau der beiden Housing Areas, Mark Twain Village und Patrick Henry Village, fielen. Nachdem Heidelberg, und damit die Campbell Barracks, 1952 das Hauptquartier der U.S. Militärstreitkräfte Europa (USAREUR) wurde, sah man den Standort in Deutschland als das Hauptquartier der Amerikaner in Europa an, obwohl es nur eines von zahlreichen Hauptquartieren war. Dennoch wurde von hier aus bis zu 220.000 Soldaten gleichzeitig befehligt.

Die Stationierung der amerikanischen Soldaten und die Änderung der Funktion der Campbell Baracks bedeutete für die ehemalige Großdeutschlandkaserne auch Umbauten, auf die ich im 3. Teil dieser Serie eingehen werde. Aber auch für die Stadt änderte sich im Laufe der Stationierung einiges.

Zu Beginn waren hauptsächlich „einfache“ Soldaten in Heidelberg stationiert, die im Normalfall ca. 3 Jahre blieben und dann weiterzogen, bis zu 20.000 gleichzeitig. Diese waren in der Stadt durchaus präsent und man traf sie in verschiedenen Clubs und Bars in der Altstadt an; oft mit mehr oder weniger Feindseligkeit, gerade später im Zuge des Vietnamkriegs. Mit dem Voranschreiten des Kalten Kriegs und der Aussicht, dass selbiger noch länger dauern würde, wurde auch die Stationierung in Heidelberg permanenter.

Quellen:

Das Titelfoto (Copyright: Lars-Christian Uhlig) zeigt den Paradeplatz der Campbell Barracks und wurde 2016 geschossen. Mehr Fotos gibt es in diesem Album: Heidelberg | Flickr

Edinger, Anica (2020): „Die Flugblätter sind reine Fiktion“. Geschichtsverein-Vorsitzender glaubt nicht an den Zettel-Regen. Rhein Neckar Zeitung. Heidelberg. Online verfügbar unter https://www.rnz.de/nachrichten/heidelberg_artikel,-flugblatt-debatte-die-flugblaetter-sind-reine-fiktion-_arid,534285.html, zuletzt aktualisiert am 14.08.2020, zuletzt geprüft am 17.08.2021.

Elkins, Walter F.; Montgomery, Michael J.; Führer, Christian (2014): Amerikaner in Heidelberg 1945 – 2013. Heidelberg, Ubstadt-Weiher, Basel: Verl. Regionalkultur (Schriftenreihe des Stadtarchivs Heidelberg : Sonderveröffentlichung / im Auftr. d. Stadt Heidelberg hrsg, Bd. 20).

Headquarters Allied Force Command Heidelberg (Hg.) (2012): History of the Headquarters. Online verfügbar unter https://www.nato.int/fchd/fchd/history.html, zuletzt geprüft am 23.12.2021.

Heidelberger Geschichtsverein e.V. HGV (Hg.): Amerikaner in Heidelberg. Online verfügbar unter http://www.s197410804.online.de/Menschen/amerikaner.htm, zuletzt geprüft am 20.12.2021.

Kramer, Julian (28.07.2021): Konversion in Heidelberg und Denkmalschutz, Stadt Heidelberg, Amt für Baurecht und Denkmalschutz. Interview mit Thomas Apfel. Verwaltungsgebäude „Prinz Carl“, Kornmarkt, Heidelberg.

Kramer, Julian (29.07.2021): Mark Twain Center und Konversion in der Südstadt. Interview mit Uwe Wenzel. Mark Twain Center, Römerstr., Heidelberg.

Mertens, Melanie (Hg.) (2013): Stadtkreis Heidelberg. Teilband 2. 2 Bände. Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag (Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Kulturdenkmale in Baden-Württemberg, II.5.2).

Müller, Hansjörg Friedrich (2020): Es war einmal in Heidelberg: die Amerikaner und eine deutsche Stadt. In: Neue Züricher Zeitung. Online verfügbar unter https://www.nzz.ch/international/deutschland/es-war-einmal-in-heidelberg-die-amerikaner-und-eine-deutsche-stadt-ld.1571311, zuletzt geprüft am 27.01.2021.

Rhein Neckar Zeitung (Hg.) (2012): „Die Flugblätter hat es tatsächlich gegeben“. RNZ-Serie: Gerhard Ritzhaupt erinnert sich an das Kriegsende in Heidelberg. Rhein Neckar Zeitung (Meine Stadt 1945). Online verfügbar unter https://www.rnz.de/archiv_artikel,-zzz-rnz-Meine-Stadt-1945-Die-Flugblaetter-hat-es-tatsaechlich-gegeben-_arid,43680.html, zuletzt geprüft am 17.08.2021.

Stadt Heidelberg: Geschichte. Heidelberg hat viel zu erzählen. Online verfügbar unter https://www.heidelberg.de/hd/HD/Leben/Geschichte+_.html, zuletzt geprüft am 20.12.2021.

Zum Teil 1 und 3 der Serie geht es hier: